Volksreligion im Spiegel der Zivilgesellschaftstheorie

Gottbegrüßungsprozession (迎神赛会, oder Gottempfangsprozession) ist die eines der wichtigsten volksreligiösen Rituale, die zu den bedeutendsten Zeremonien des Religionslebens des chinesischen Volks zählen dürften. Der Ausgangspunkt meiner Forschung ist die 1995 veröffentlichte Studie Demon Hordes and...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: YU, Zhejun
Other Authors: Universität Leipzig, Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften
Format: Doctoral Thesis
Language:deu
Published: Universitätsbibliothek Leipzig 2010
Subjects:
Online Access:http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-39295
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-39295
http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/3929/Pflichtexemplar.pdf
Description
Summary:Gottbegrüßungsprozession (迎神赛会, oder Gottempfangsprozession) ist die eines der wichtigsten volksreligiösen Rituale, die zu den bedeutendsten Zeremonien des Religionslebens des chinesischen Volks zählen dürften. Der Ausgangspunkt meiner Forschung ist die 1995 veröffentlichte Studie Demon Hordes and Burning Boats: The Cult of Marshall Wen in Late Imperial Chekiang von Paul Katz, in der „Zivilgesellschaft und Volksreligion“ zum ersten Mal in der Forschung über die chinesische Kultur thematisiert. Um Katz’ Schwächen in der Studie zum Marschall Wen - sowohl an Quellen als auch in Theorie - auszugleichen, folgen ich in meiner Arbeit vertiefend zwei Grundlinien und damit sie grob in zwei Teile teilen, nämlich einen theoretischen und einen empirischen Teil. Im theoretischen Teil müssen zwei Fragen beantwortet: Was ist Zivilgesellschaft? Wie könnte die Zivilgesellschaftstheorie für diese religionswissenschaftliche Forschung nützlich sein? Um eine präzise Arbeitsdefinition geben und eine operationalisierbare Fragestellung aufstellen zu können, verfolge ich zunächst im ersten Teil die Begriffsgeschichte von „Zivilgesellschaft“ und „Öffentlichkeit“ im abendländischen Kontext zurück. Ein dreieckiges Problemfeld zwischen Staat, Privatsphäre und Ökonomie, zwei Ansätze der Zivilgesellschaftstheorie (der analytisch-deskriptive und der Idealistisch-präskriptive) werden zusammengefasst. Sieben Merkmale (öffentliche Assoziationen, Autonomie, Pluralität, Legalität, zivilisiertes Verhalten und utopisches Potenzial) und sechs Modelle (Das Trennungs-, Oppositions-, Öffentlichkeits-, Unterstützungs-, Partnerschaftsmodell und die globale Zivilgesellschaft) werden in der Forschung angeführt. Anschließend setze ich mich mit der Zivilgesellschaftsdiskussion im chinesischen Kontext auseinander. Aus der „Modern China Debate“ in den U. S. A. und der daran angeschlossenen chinesischen Diskussion wird eine Bilanz gezogen. Die „teleologische Annahme“ und der „China-Hat(te)-Auch-Komplex“ werden herausgefunden, die in einer historischen Forschung nicht legitimierbar sind. Danach wird die bisherige Erörterung über die Beziehung zwischen Zivilgesellschaft und Religion kurz zusammengefasst. Zum Ende des theoretischen Teils beschließe ich auf den idealistisch-präskriptiven Ansatzes zu verzichten. Die Zivilgesellschaftstheorie als Idealtypus im Weberschen Sinn benutzt, um die Kulturbedeutung der volksreligiösen Feste in China zu erkennen. Besonders die Organisation und die politische Auseinandersetzung der Prozession sollen in Betrachtung der Zivilgesellschaftstheorie gezogen werden, um die chinesische Gesellschaft besser zu verstehen. Im empirischen Teil der Arbeit werden Regionalbeschreibungen, Archivakten und Zeitungsartikel als Hauptquelle benutzt. Weil bisher keine systematische Forschung im Bereich der Religionswissenschaft zur Gottbegrüßungsprozession vorliegt, wird zuerst eine ausführliche Einführung in die Prozessionen in China gegeben, um ein zuverlässiges Bild von den Prozessionen innerhalb der chinesischen Religionslandschaft entwerfen zu können. Die Etymologie, die Arbeitsdefinition und die kosmologische Ordnung hinter der Prozession werden anschließend vorgestellt. Ich schlage vor, die Prozession als das Kennzeichen der kommunalen Religion Chinas anzusehen. Durch einige Sammelbände zur Folklore in China wird dann deutlich belegt, dass zahlreiche Gottbegrüßungsprozessionen ab Anfang der Qing-Zeit bis in die Republikzeit hinein kontinuierlich in fast allen Provinzen Chinas stattfanden. Danach werden die gesetzlichen Verbote in der Kaiserzeit dargestellt. Die Forschungsgeschichte zur Prozession und deren Problematik werden daraufhin zusammengefasst. Nachdem die Grundform bzw. die alternativen Formen, der Aufbau des Umzugs, Gottheiten, Dauer und Häufigkeit der Prozessionen in einem weiter begrenzten geographischen Raum, nämlich dem heutigen Shanghai, und zeitlich Raum, nämlich der Republikzeit (1912-49), dargestellt werden, werden die Haltung der Regierung und die mediale Präsentation solcher Prozessionen während der Republikzeit rekonstruiert, um die potenzielle Spannung zwischen dem Staat und den religiösen Gemeinschaften als eine der wichtigsten kollektiven Einstellungen zur Prozession zu zeigen. Die Zwischenfälle in der Nachbarregion werden wiedergegeben. Sodann werden drei detailreiche historische Fallbeispiele stichprobenartig angeführt und analysiert, um die weitere Behandlung der Fragestellung empirisch zu untermauern. Das erste historische Fallbeispiel ist der Stadtgott-Inspektionsrundgang. In diesem Fallbeispiel werden besonders die Finanzierung, die Aktivisten und Organisationen berücksichtigt, um ein Licht auf die Durchführung und Verwaltung der Prozessionen zu werfen. Darüber hinaus werden die Streite, Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen den lokalen Behörden und dem Aufsichtsrat des Stadtgotttempels beleuchtet, um deren Verläufe, Hintergründe und Ursachen zu erforschen. Das zweite Fallbeispiel handelt sich um die Prozessionen und die Konflikte in Pudong von 1919 bis 1935. Die Verbote, die Gegenmaßnahmen der Regierung und die Verstöße gegen das Prozessionsverbot werden ausführlich geschildert, um die tatsächliche Ursachen der Konflikte zu finden. Zum Schluss des Kapitels wird die Polizei als Beispiel der damaligen Staatsmacht analysiert. Das dritte Fallbeispiel ist die Prozession im Dorf Jiangwan. Im Jahr 1935 wurde die dortige Prozession von der lokalen Feuerwehr schikaniert. Die Nachwirkung und die direkte Einmischung der Parteidirektion werden auch detailreich dargelegt. In der Schlussfolgerung der Arbeit werden die Beteiligten der Prozession in drei Gruppen, nämlich den Schaulustigen, den Aktivisten, den Unterstützer und die Förderer, eingeteilt. Ihre unterschiedlichen Funktionen und Motivationen getrennt zusammengefasst. Die andere Partei, die Kontrolleure der Prozession, wird anschließend behandelt. Alle historischen Beschreibungen werden im Spiegel der Zivilgesellschaftstheorie, v. a. der sieben Merkmale und sechs Modelle, evaluiert. Außerdem bringe ich zwei Einwände gegen die Dichotomie von C. K. Yang vor.